Oktober 2020
Wenn Ayko im B-Wurf geboren worden wäre, hätten wir ihn Buddha nennen müssen. Oder Bettvorleger.
Er hat ein wirklich unvergleichbar ausgeglichenes Gemüt, ist ungewöhnlich menschenfreundlich und will von jeher von jedem Menschen gestreichelt werden. Er liebt alles und alle, von der Katze bis zum Baby - je kleiner, desto lieb.
In Hundebegegnungen ist er jetzt mit 2 1/2 Jahren - Stand Oktober 2020 - noch in der Entwicklung begriffen. Liebte er in den ersten 1 1/2 Jahren grundsätzlich alle anderen Hunde, geht er allmählich dazu über, zu differenzieren.
Wir begleiten ihn bei dieser Entwicklung mit Sicherheit und klaren Grenzen, damit er auch weiterhin das in der Menschengesellschaft nötige gute Verhalten zeigt.
Pubertät und Adoleszenz
An die Pubertät, in der die Rüden das erste Mal beim Pinkeln das Bein heben, sich für Mädels interessieren, ihren ersten Vorhautkatharr kriegen und anfangen, bereits Gelerntes wieder zu vergessen, schließt sich die Adoleszenz an, das eigentliche Heranwachsen. So heißt die Phase, in welcher der Hund erwachsen wird. Beim Hovawart, der zu den Rassen gehört, die sich langsam entwickeln, kann das bis zu 5 Jahre dauern. – Falls sie jemals wirklich erwachsen werden und nicht einfach nur groß….
Von Ayko als Buddha war ab Januar 2021 bei Hundebegegnungen nicht mehr viel zu spüren. Es ist unglaublich, wie schnell sich ein Schmusebär, der so lange so lieb zu Mensch und Tier war, unter dem Einfluss der Hormone verändern kann. In Bezug zu Menschen hat sich zum Glück gar nichts geändert, Ayko ist nach wie vor ein sehr großer Menschenfreund.
Hovawarte regeln, wenn man sie lässt
Aber schon im Urlaub in der Schweiz im Juni 2020 - damals war er 2 Jahre alt - hatte er angefangen, zusammen mit Mama Alba einen anderen Hund vom Abendspaziergangs-Areal zu vertreiben. Solche Aktionen sind in Folge immer mal wieder passiert. Auf Rüdenbegegnungen hat Ayko zunehmend mit Knurren reagiert und ging schon in den Schleichgang, wenn nur einer am Horizont auftauchte. Es war die deutliche Absicht zu spüren, dass er den Artgenossen vertreiben will.
Alba findet Artgenossinnen in ihrem Revier völlig überflüssig, zudem regelt sie gerne alles, was ihrer Ansicht nach die guten Benimm-Regeln verletzt.
Das geht in der Regel ziemlich laut, aber ohne Verletzung vonstatten. Dennoch ist es definitiv nicht hinnehmbar, dass sich zwei Hovawarte die Freiheit herausnehmen, andere Hunde je nach Sympathie oder Areal, in dem man gerade mit ihnen herumläuft, mit großem Getöse einzuschränken.
Rasse und Rudeldynamik
Zweithund, Rüde und Hündin und gleichzeitig Mutter und Sohn sind ein wirklich kompliziertes Beziehungsgeflecht. Da Ayko von Anfang an so ein freundlicher Geselle war - zwar nicht so wirklich gut ansprechbar, aber bei allen Begegnungen herzensgut - hat er auch längst nicht so viel Erziehung genossen wie seinerzeit Alba. Das begann sich mit zunehmendem Alter allmählich zu rächen. Er ist zwar Menschen gegenüber immer noch herzensgut, Hunden gegenüber aber nicht mehr, da differenziert er ganz deutlich. Mit einem Pärchen ist es dann auch besonders interessant, denn Alba kann Hündinnen - jedenfalls unsichere und kleinere Exemplare - nicht leiden, und aufmüpfige, energiegeladene will sie nach guter Mutterart erziehen.
Ayko will das Rudel schützen, besonders seine Hündin, die Alba für ihn ist, und will schon mal prophylaktisch auf jeden los gehen, der sich ihr nähern könnte.
Das geht in jedem Fall mit ziemlich viel Krach einher und alle beteiligten Menschen, die Hovawarte in Aktion noch nie gesehen haben, sind der festen Überzeugung, dass der andere Hund endgültig gemeuchelt wurde. In Wahrheit wird ihm normalerweise kein Haar gekrümmt, aber das können sie ja nicht wissen.
Und es stimmt auch leider nicht immer.
Testosteronhöchststand während der Entwicklung
Es gibt auf dem Weg zum Erwachsenwerden bei jungen Rüden eine Phase, in der der Testosteronspiegel so hoch ist wie nie mehr später im Leben. In einer solchen Phase hat Ayko es geschafft, sich derart darüber aufzuregen, dass Alba einen netten Terrier geküsst hat, dass er sich in bis dato schon einige Male bewährter Manier auf ihn gestürzt hat, um ihn zu unterwerfen. Seine Methode dabei ist ganz einfach: er brüllt den Artgenossen an, stößt seine Schnauze in ihn rein und setzt sich auf ihn. Nicht sehr nett, aber ungefährlich, wenn der andere halbwegs stabile Knochen hat. Nun ist ein Terrier dazu gezüchtet, sich in Fuchs- und anderen Bauten gegen deren Bewohner zur Wehr zu setzten, und das hat er auch mit Ayko gemacht. Einem Biss in Aykos Schnauze folgte ein Biss in des Terriers Hinterteil - und schon hatten wir den Salat.
Da ich nach tagelanger Schnappatmung, ausgiebigen Literaturstudien zum Thema Hormone beim Rüden und langer Analyse der Begegnung zu der Überzeugung gelangt bin, dass wirklich viel Testosteron im Spiel war, habe ich mich für einen Kastrationschip entschieden, der ein halbes Jahr wirken soll - pi mal Daumen. Der wirkt auch tatsächlich sehr gut, Ayko ist quasi in seiner Entwicklung um ein Jahr zurückgestuft worden und wird nun mit allem konfrontiert, was ich für nötig erachte, um ihn das neue Aufleben der Hormone souveräner und gelassener erleben zu lassen.
Wie das geht - demnächst an dieser Stelle....
März 2021
Aykos Erziehung unter dem Einfluss der Hormonchips zeitigt Erfolge. Er ist deutlich ansprechbarer als noch vor 2 Monaten und nicht mehr so aufmüpfig anderen Rüden gegenüber.
Klare Grenzen, Ansprechbarkeit trainieren, Ausgleich durch Spiel
In den letzten beiden Monaten haben wir hauptsächlich an seiner Gesprächsbereitschaft gearbeitet, oft auch nur mit ihm allein: er durfte wochenlang nicht vor mir laufen, denn dann war ich seine Aufmerksamkeit los. Nase im Wind oder auf dem Boden und wir als Menschen kamen erst ziemlich weit hinten in der Reihe dessen, was alles so interessant ist da draußen: Rehe, Hasen, Geräusche, Gerüche... . Also hieß es: der Raum vor mir ist so lange tabu, bis ich den Eindruck habe, dass wir entspannt miteinander unterwegs sind und ich als Führung akzeptiert werde. Ich bestimme Tempo und Richtung und gebe Raum nach vorne frei oder eben auch nicht. Das hat gut 6 Wochen gedauert. In der Zeit musste ich immer wieder korrigieren und ihn daran erinnern, dass ich Vorlaufen nicht erlaube. Dann - von einem Tag auf den anderen - hatte er es akzeptiert.
Gleichzeitig habe ich angefangen, mehr mit ihm zu spielen, zuerst zu Hause und im Garten und später auch draußen, zunächst wieder mit langer Leine als Sicherheit und mit zunehmender Ansprechbarkeit dann auch ohne. Das Leben mit einem unkonzentrierten jungen Hund kann nicht nur aus Korrekturen bestehen – zusammen lustige Sachen machen, ist extrem wichtig! Es war allerdings gar nicht so einfach, ein Spielzeug zu finden, das zwei gestandene Hovawarte nicht innerhalb kürzester Zeit geschreddert haben. Tipp an dieser Stelle: der Shop von Alexander Laubenthal https://hovawart.rocks/
Mittlerweile darf er auch wieder mal vorlaufen, allerdings teste ich immer wieder seine Ansprechbarkeit. Wenn er auf Ay... nicht den Kopf dreht, gehe ich hin und tippe ihn an. Spätestens bei ... ko sollte er sich umgedreht haben. Ich möchte auf jede Ansprache von mir einen Reaktion sehen, ein kurzes Abfragen, was ich von ihm will. Bleibt das aus, folgt meinerseits eine Konsequenz durch Antippen oder – auf Distanz – durch ein Geräusch. Auch das klappte nach ein paar Wiederholungen seht gut und er lässt sich inzwischen von fast jedem Schnüffelfleck abrufen. Ich begrenze seine Freiheit nach vorne allerdings auf maximal 10 Meter, meistens will ich ihn so um die 3 bis 5 Meter bei mir haben. Läuft er weiter vor, wird er mit demselben Signal, mit dem ich ihm 6 Wochen lang das Vorlaufen verboten habe, in der Erweiterung seines Wirkungskreises eingeschränkt.
Und in den Fällen, in denen ich einfach zu müde oder unlustig bin, derartig konsequent und gleichzeitig locker-konzentriert unterwegs zu sein, ist ein Geschirr mit einer 2 – 5 Meter Leine sehr hilfreich. Das hat mehrere Ösen. Leine in der vorderen Öse heißt: rote Linie, kein Raum nach vorne. Hintere Öse: du darfst ziehen. So sorge ich dafür, dass auch ich immer ausgeglichen bin, denn ein Training, bei dem ich selber nicht absolut souverän unterwegs bin und halbherzige Sachen mache, hat keinen Sinn. Es führt bei ein bisschen Pech dazu, dass sich wieder Erfolgserlebnisse einstellen, die ich nun wirklich nicht haben will.
Hundebegegnungen sind noch nicht wirklich sein Ding, daran müssen wir noch arbeiten. Mein Ziel ist, dass er auch in der Begegnung seine Konzentration auf mich lenken kann und den Artgenossen nicht in den Fokus setzt.
April 2021
Training in fremden Territorien, Stehenbleiben, mit Abstand vorbei, Leckerliemagnet, Jagdtrieb
Wir hatten in den letzten Wochen viele lange Spaziergänge in ganz unterschiedlichen Gegenden, die wir zusammen erkundet haben. Es scheint so, dass Ayko von Wasser angezogen wird. Sieht er welches, will er hin und rein.
Seine Ansprechbarkeit ist fast perfekt. Der Jagdtrieb ist da, aber er ist nicht schnell genug, um mir zu entwischen. Korrekturen der sehr deutlichen Art alleine schon beim Erschnüffeln des Wilds sind immer noch nötig, kommen aber an.
Mittlerweile gehe ich auch meistens wieder mit beiden gleichzeitig raus. Es hat keinen Sinn, allzu viel Einzeltraining zu machen, wenn man im Grunde doch mit beiden unterwegs sein will. Die Rudeldynamik ist da und muss berücksichtigt werden.
Hundebegegnungen haben wir leider eher wenige und die wenigen laufen unterschiedlich gut, von der Tendenz her aber immer ruhiger. Ich bleibe nicht
mehr so oft stehen, sondern nehme die Leinen kurz – aber nicht straff! - und gehe am Artgenossen vorbei. Dabei wäre mir Freiwilligkeit lieber, aber sie lassen sich so gut halten und das ist ja
auch schon mal viel wert. Wenn die Wege es zulassen und in Abhängigkeit vom Gegenüber und der sich aufbauenden Körperspannung bei Ayko und Alba, gehe ich noch einen mehr oder weniger kleinen
Bogen, um das Moment der direkten Konfrontation etwas abzumildern.
Einen Versuch habe ich gemacht mit Leine geben in der Hoffnung, dass sie gar nicht mehr hin wollen, aber das hat sich nicht bewährt. Sie nutzen die Gunst der Stunde, laufen halbwegs brav vorbei und flitzen dann vorne um mich rum, um dem Artgenossen noch was hinterher zu rufen oder gleich den Versuch zu starten, sich von hinten auf ihn zu werfen. Keine gute Idee.
An der Gelassenheit müssen wir also weiter arbeiten, und dazu brauchen wir Hunde. Wir suchen vermehrt Parks und belebtes Gelände auf, wo Hunde in der Regel an der Leine sind, um nicht mit unliebsamen Überraschungen rechnen zu müssen. Souveränität meinerseits ist jetzt das A und O, und es reicht mir völlig, an angeleinten Hunden ohne erhöhten Puls gut vorbei zu kommen - für freilaufende Tutnixe sind wir noch nicht reif.
Die kleinen Freiheiten: Laufen an der Leine, Freifolge, Freilauf bis ca. 15 m, Stopp und Warten im Wechsel
Insgesamt hat ihnen das Training und die Beschäftigung mit ihnen in den letzten drei Monaten sehr gut getan. Der Wechsel von Freifolge – immer (!) vor unübersichtlichen Stellen – Freilauf bis ca. 15 m, Stopp und Warten und gesittet an der Leine gehen, klappt sehr gut. Die zeitweiligen Einschränkungen halte ich so lange durch, bis sie entspannt angenommen werden. Sie sorgen dafür, dass ihnen immer bewusst ist, dass sie mit einer Entscheidungsträgerin unterwegs sind, was für eine allgemein gute Stimmung sorgt, wenn auch gelegentlich Ausbruchversuche unternommen werden. Da diese immer weniger werden, denke ich, auf einem guten Weg zu sein.
Alba wird bald läufig und ich bin mal gespannt, was der testosteronberaubte Jüngling dazu zu vermelden hat.
Juli 2021
Albas Läufigkeit
Ayko war schon etwas gelassener als während der Läufigkeiten, die er ohne Chip hat erdulden müssen, aber immer noch so aufgeregt, dass wir die beiden während der Standhitze von Alba ein paar Tage lang getrennt haben. Ihn deswegen kastrieren zu lassen, würde sich also auf keinen Fall lohnen.
Viele Hunde – viel Gelassenheit
Die Entwicklung geht weiterhin in die richtige Richtung. Wir waren wieder in der Schweiz zum Campen und es war erstaunlich, wie schnell sich die
Hunde daran gewöhnt hatten, dass pausenlos andere Hunde - zum Glück immer angeleint und friedlich - an uns vorbei gelaufen sind. Selbst auf Hunde, die beim Vorbeilaufen aus ihrem Territorium laut
bellend hervor gerannt kamen, haben sie super entspannt reagiert. - Wahrscheinlich haben sie die Ähnlichkeit zu ihrem eigenen Charakter bemerkt und Verständnis gehabt für die territorialen und
wachsamen Artgenossen. :-)
Hundebegegnungen - Zusammenfassung und Ausblick
Begonnen habe ich im Januar mit Begegnungen in fremdem Gelände; am Rande von anderen Orten und in verschiedenen Parks und zunächst alleine mit Ayko. Er hat zunächst alle anderen Hund anfixiert und wollte viele von ihnen fressen, woran auch Korrekturen im Grunde nicht viel geändert haben. Er hat sich zwar kurzfristig vom Fixieren abhalten lassen, ich habe aber an der Art und Weise, wie er mich angeschaut hat, gemerkt, dass er extrem unsicher ist und gar nicht weiß, was er machen soll. Einfach gar nichts machen und weiter gehen schien keine Option für ihn zu sein. Stichwort: Individualdistanz
Also sind wir zunächst längere Zeit weit ausgewichen, hinein ins matschige Rapsfeld, die Schuhe bis zu den Knöcheln im Schlamm, und haben gewartet, bis die Artgenossen vorbei waren. Dabei konnte ich sehen, wieviel Abstand Ayko braucht, um ruhig zu bleiben. Diesen Abstand haben wir nach und nach verringert, was eine Sache von vielen Wochen war. Wenn ich mit Alba und ihm zusammen solche Begegnungen hatte, habe ich das genauso gemacht.
Im Laufe der Zeit und an vielen verschiedenen Orten habe ich gemerkt, dass beide Hunde relativ entspannt sind, wenn in einer Gegend viele Hunde
unterwegs sind, z.B. in Parks oder auch auf einem geführten Leinenspaziergang. Einen solchen haben wir einmal gemacht und es war sehr interessant zu beobachten, wie Alba und Ayko sich mit der
Situation arrangiert haben. Schön zu sehen war auch, dass sie nach diesem Spaziergang noch eine halbe Stunde lang im Haus ständig hinter mir her gelaufen sind – Führung macht offenbar anhänglich
- ganz ohne Leckerlie.
Im Mai haben wir ein Seminar bei Anita Balser besucht, bei dem ca. 30 Hunde anwesend waren. Wir haben auf dem Campingplatz gewohnt, was schon mal
wieder eine gute Übungssituation war und hatten 2 Tage lang auf dem Seminar verschiedene Stationen und jede Menge Hundekontakt. Die beiden waren Sonntag Abend tiefenentspannt und es war ihnen
völlig egal, wer an ihnen wie nah oder distanziert vorbei lief.
Solche Veranstaltungen sind ebenso wie der Campingurlaub im Juni Gold wert, um den Hunden zu zeigen, wie gelassen sie werden können, ihnen ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass Hundebegegnungen
auch ganz unaufgeregt vonstatten gehen können. Aber leider generalisieren sie das nicht. Es scheint sie ein Stückchen weiter auf dem Weg zu mehr Ruhe und Gleichgültigkeit zu bringen, aber wenn
sie wieder in der Taunuseinsamkeit ihre Runden drehen und nur gelegentlich mal einen anderen Hund treffen, finden sie den schon bedenklich. Ich habe zwar den Eindruck, dass die Intensität der
Bedenklichkeit von Mal zu Mal abnimmt; es ist also schon ein guter Weg, immer wieder Gebiete und Situationen mit mehr Hundeaufkommen aufzusuchen, aber es ist keine schlussendliche Heilung für
territoriale Seelen.
Meine Hoffnung besteht darin, dass die Kombination aus allen Maßnahmen wie Spaß und Spiel, Übungen zur Frustrationstoleranz,
Ansprechbarkeitstraining auch auf Distanz, Abbruch auf Distanz, konditioniertes Sitz und Platz auf Distanz usw. und eben immer wieder Hundebegegnungen zu Hause und auch woanders im Laufe des
nächsten Jahres dazu führen, dass sich auch in heimatlichen Gefilden die Aufregung und Unsicherheit soweit legt, dass andere Rüden nicht mehr attackiert werden.
Aktuell - Stand Juli 2021 - ist es in fremden und belebten Gegenden, z.B. in einer Stadt schon länger nicht mehr nötig, stehenzubleiben, wir gehen einfach weiter am Artgenossen vorbei. Selbst krakeelende Hunde werden mit einer Art "tststs- was bis du denn für einer" angeschaut und links liegen gelassen.
Völlig anders ist es in weniger belebten Gebieten oder gar zu Hause im Kerngebiet. Da kann Ayko sich total aufregen, wenn ihm ein anderer Rüde entgegen kommt, wobei es sehr davon abhängt, wie dieser sich aufführt und ob er es wagt, Alba schöne Augen zu machen.
Ich kenne mittlerweile seine Körpersprache aber so gut, dass ich schnell entscheiden kann, ob ich ihn mit einem Keks vorbei führen kann, was oft sehr gut klappt oder ob die Bedrohung aus seiner Sicht zu groß ist und ich lieber ausweiche - bewährt hat sich auch eine Kombination von beidem: einen kleinen Bogen gehen und so lange am Keks lecken lassen, bis wir vorbei sind.
Ich habe den Eindruck, dass seine Sicherheit dadurch langsam wächst und er es einfach nicht mehr nötig hat, sich aufzuregen und andere vertreiben zu wollen.
Gespräche mit anderen Hundehaltern sind von Vorteil und sorgen für Ruhe
Solche Gespräche ergeben sich manchmal und zeigen den Hunden, dass man ganz entspannt in ausreichendem Abstand rumliegen kann - sie gehen nach einiger Zeit tatsächlich freiwillig in die Liegeposition - während die Menschen sich unterhalten.
Oktober 2021
Ayko hat in Greven jetzt seine ZTP bestanden, d.h. er darf Hovawarthündinnen aus VDH Vereinen decken.
Mit seiner Entwicklung sind wir sehr zufrieden. Die Wirkung des Kastrationschips ist nun abgelaufen und er ist wieder ein richtiger Rüde. Das merkt man auch an seinem Verhalten: er zeigt sich Hündinnen gegenüber sehr freundlich und Kastraten gegenüber neutral. Intakte Rüden findet er völlig überflüssig und knurrt, wenn er in deren Nähe kommt.
Ich finde: er darf durchaus signalisieren, dass er die Artgenossen nicht mag. Was er nicht darf ist, tätig zu werden. Sich groß machen und knurren finde ich so lange ok, wie keine weiteren Aktionen stattfinden.
Die Frage ist ja tatsächlich, was kann man von einem Hund verlangen. Klar wäre es schön, wenn er ein 100% umweltneutraler Hund wäre, andererseits hat er aber auch einen Charakter, den ich nicht missen möchte: er ist ein Hovawart mit allem, was dazu gehört, und ich muss sagen: er ist vom Grundsatz her ein ausgesprochen sanftes Exemplar seiner Rasse.
Er bewacht sein Territorium, zu dem auch die täglichen Spazierwege gehören und schützt sein Rudel, in dem Fall Alba, vor anderen Hunden, denn er will keine Rüdenkonkurrenz. Das ist völlig verständlich -- die Frage ist einfach, wie kann man das unerwünschte Verhalten anderen Rüden gegenüber in tragbares Verhalten umwandeln.
Dazu habe ich mir das Rollenmodell von Anita Balser angeschaut.
Die Anlage:
Ayko ist ein introvertierter Hund, kein Draufgänger und auch kein Hund, der gut darin ist, durch Bewegung Situationen zu regeln. Er will Distanz. Es liegt nicht in seiner Natur, Artgenossen, die auf ihn zu kommen, z.B. durch Anrempeln oder sonstige Bewegungseinschränkung auf Abstand zu halten. Wenn man ihm das zumutet, tut er es, aber es wirkt ziemlich "drüber", also einfach der Situation nicht angemessen.
Aykos schlichte Präsenz hat zwar durchaus schon manch anderen Hund wie auch seinen Besitzer dazu bewogen hat, abzudrehen und eine andere Richtung einzuschlagen, aber man kann sich nicht darauf verlassen. Wir hatten auch schon eine Begegnung mit einem jungen Rüden, der trotz Aykos deutlicher Warnung einfach immer näher gekommen ist, und der kann Alba dankbar sein, die die Situation derart entschärfte, dass sie den Rüden durch freundliche Annäherung beschäftigte, so dass seine Besitzerin zu ihm gehen und ihn anleinen konnte, während ich Ayko festhielt.
Würde ich Ayko also erlauben, sich selber Distanz zu verschaffen, würde er total überreagieren, also wirklich nicht angemessen den anderen Hund unterwerfen. Alba besitzt diese Kompetenz, sie kann andere Hunde in Schach halten, ohne ihnen ein Haar zu krümmen, aber Ayko ist diese Fähigkeit nicht in die Wiege gelegt worden.
Er legt meiner Beobachtung nach auch keinen gesteigerten Wert darauf, es zu Konflikten kommen zu lassen, sondern ist froh, wenn ich ihm einen Weg zeige, ohne Konfrontation aus der Situatin raus zu kommen.
Er zeigt vom Welpenalter an schon, dass er in unbekannten Situationen erst mal stehen bleibt und guckt, und guckt, und guckt....
Unterstützende Erziehung
Dieses Verhalten unterstützen wir mit dem Signal "stop", gehen zu ihm und können ihn anleinen. Selber stehen bleiben und ihn rufen wird nicht zum Erfolg führen, denn dafür müsste er sich vom anderen Hund weg bewegen, ihm seinen Rücken zudrehen und das wird er nicht tun. Er ist allerding dankbar, wenn er an die Leine genommen und schräg nach vorne vom anderen Hund weg geführt wird. Distanz ist hier wirklich das A und O und es ist super wichtig, dass der andere Hund noch nicht nahe bei uns ist.
Er ist immer noch ein bisschen aufgeregt, wenn wir den Artgenossen mit Abstand passieren, aber ich merke auch, dass er gelassener wird. Bis vor kurzem konnte er - hier im Kerngebiet - vom anderen Hund den Blick gar nicht abwenden, wenn ich ihn angesprochen habe, ich musste ihm immer einen Keks unter die Nase halten.
Seit kurzem reagiert er auch auf Ansprache und bekommt dafür dann den Keks.
So tasten wir uns langsam voran und er macht auf diese Art und Weise immer wieder gute Erfahrungen.
Ich gehe davon aus, dass er im Laufe seines Lebens noch mehr Nähe beim Vorbeigehen an anderen Rüden ertragen kann, wenn er keine negativen Erfahrungen macht, aber grundsätzlich will er ihnen ausweichen und braucht im Moment noch entsprechende Handlungsanweisung von mir. Für ihn bedeutet das ganz einfach, dass ich das Rudel vor dem fremden Hund schütze.
Die Begegnungen sind jetzt schon in fremdem Gebiet deutlich entspannter als im Kerngebiet und daran wird sich auch nichts ändern - schließlich ist er ein Hovawart.
Mein Fazit - Stand Oktober 2021: wir haben in Sachen Ansprechbarkeit und Gehorsamstraining viel erreicht, mehr geht fast nicht. Was jetzt übrig bleibt, ist vorausschauendes Gehen, kein Vorlaufen in Kurven oder über Hügel und Ausweichen, wenn uns Hunde entgegen kommen.
Das hat sich in den letzten 9 Monaten sehr gut bewährt und alles andere ist eine Frage der Zeit.
Leine ab und mal gucken, was passiert, ist definitiv keine gute Idee, Spaziergänge an der Leine oder im kontrollierten Freilauf mit anderen Hunden wären aber sicher möglich, wenn ich Hundehalter finden würde, die ein ähnliches Konzept verfolgen.
Ich sehe das als Zwischenfazit mit dem Fokus auf: was ist machbar und ausbaubar und was kann ich mir abschminken.
Neutralität im Kerngebiet kann ich vergessen, da bin ich als Führung gefragt, die Spaziergänge so zu gestalten, dass die Begegnungen nicht eng werden.
Neutralität in fremden Gefilden wird sich ausbauen, je älter und sicherer er wird. Das hat sich im Laufe der letzten Monate schon so gezeigt und wird eine ganz natürliche Entwicklung sein, sofern ihm nicht zugemutet wird, Regelungen zu treffen, für die er keine Kompetenzen mitbringt, was im Klartext heißt, ihm Artgenossen, die von vorne auf ihn zukommen, vom Pelz zu halten.